Schulhockey Nachrichten

B. Wagner-Staacke, Sportwart im Berliner HV:

Ganztagsschulen – Suche nach Lösungen für den Hockeysport

 

13.02.2011 - Im Artikel „Ganztagsschulen - Chancen und Risiken zugleich“ Gedanken zum Jugendsport und zur Ganztagsschule im Jahr 2006 wurde mit den Worten: „Auf den ersten Blick bringt die Ganztagsschule für Sportvereine nur Nachteile“ kritisch auf die Einführung der Ganztagsschule eingegangen. Von Befürwortern wurde entgegnet, man müsse doch erst mal abwarten, die Ganztagsschule sei doch eine große Chance für mehr Bildungsgerechtigkeit etc. Prinzipiell kann man dieser Aussage auch heute noch nicht widersprechen, dass sich aber für den Sport erhebliche Probleme ergeben, ist nicht mehr zu übersehen.

Die Befürchtungen aus dem Jahr 2006, dass die Kinder frühestens ab 17.00 Uhr im Verein zum Training erscheinen können, haben sich weitestgehend bestätigt.

„Seit Ganztagsschulen in ganz Deutschland wie Pilze aus dem Boden schießen, ergeht es vielen Vereinen...: sie fürchten um ihre Zukunft. Immerhin haben rund 112.600 Mitglieder allein im Jahr 2009 ihrem Sportverein den Rücken gekehrt. Dabei gibt es eine Menge Kinder, für die es von Vorteil wäre, wenn sie sich im Verein und nicht auf der Straße austobten.
Hintergrund ist ausgerechnet ein Investitionsprogramm der Bundesregierung aus dem Jahr 2003. Es heißt "Zukunft, Bildung und Betreuung" und stellt vier Milliarden Euro zur Verfügung, um den Ausbau von Tausenden Ganztagsschulen zu finanzieren. Es sollte dafür sorgen, dass Familie und Beruf vereinbar werden. Auch erhofft man sich mehr Gerechtigkeit durch die längere Betreuung für Kinder aus bildungsfernen Schichten. Erweist sich das Programm nun als Sargnagel für viele der rund 90.900 Sportvereine?
Hausaufgaben, Förderstunden, Arbeitsgemeinschaften und Bewegungsspiele in der Ganztagsschule fordern ihren Tribut: "Nach der Ganztagsschule sind die Kinder tot", sagt Oster. Viele Eltern hätten kein Interesse mehr, ihre Kinder nach anstrengenden Schulstunden wie-der abzugeben und sie um 17 Uhr zum Fußballverein zu kutschieren. "Unsere Betreuer und Trainer sind berufstätig und können in der Regel nicht vor 17 Uhr auf dem Platz stehen", sagt Oster, Trainerin beim 1.FC Ringsdorff-Godesberg.“ (1)

Auch der Verlust v.a. bei Hallenkapazitäten im Zusammenhang mit dem Eigenbedarf der Schulen ist eingetreten. Schulsporthallen sind teilweise erst ab 18:00 Uhr für Vereine nutzbar, da der Sportunterricht der Schulen gewährleistet werden muss (Vgl. MBO – Spandau).

Da sich die Zahl der Ganztagsschulen mit Einführung der Sekundarschulen nach 2006 erheblich vergrößert hat, werden die oben genannten Probleme deutlich sichtbar. Ein weiterer Aspekt, der bei der Untersuchung der Trainingszeiten (2) im Jugendbereich ins Auge gefallen ist, ist das oft sehr späte Ende der Trainingszeiten.

Kinder im C/D-Bereich trainieren teilweise bis 19:30 Uhr. Der Vergleich mit Trainingszeitentabellen in den Jahren 1986 – 1990 zeigt, dass das Training für den C/D-Bereich spätestens um 17.30 Uhr, im B-Bereich 18:30 Uhr endete.

Rechnet man noch den Nachhauseweg hinzu, sind diese Kinder nicht vor 20:00 Uhr zu Hau-se. Unter weiterer Berücksichtigung von Duschen, Abendessen und „Gute Nacht Ritual“ (3), erkennt man schnell, wann die Kinder ins Bett kommen. Geht man davon aus, dass Kinder in diesem Alter ein Schlafbedarf von 10,5 – 11 Stunden (4) haben, dann zeigt sich, dass die von Medizinern geforderte Schlafmenge nur bedingt erreicht wird. Die Folge sind körperliche und psychische Störungen (5).

Dass viele Kinder auch nach dem langen Schultag keine Zeit oder Lust mehr auf Sport haben, belegen diverse Äußerungen betroffener Eltern. Aus zahlreichen Gesprächen wurden für den Verzicht auf Sport im Verein immer wieder die schulische Belastung (Schulzeitverkürzung bis zum Abitur auf 12 Jahre und Ganztagsbetrieb) genannt. Diese Aussagen und der Statistikberichts des DHB von 2011 belegen, dass Eltern der Schule den Vorrang gegenüber dem Vereinssport einräumen. Das spiegelt sich auch in der Mitgliederentwicklung der sechs größten Berliner Hockey-Vereinen im Jugendbereich von 2010 bis 2011 wider. Die Mitgliederzahlen im Jugendbereich sind um 6,7 % zurückgegangen. 

Ein angeblicher Geburtenrückgang als Argument muss zurückgewiesen werden, da nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Geburtenrate in den letzten Jahren weitgehend konstant ist.

Es spricht alles dafür, dass der Mitgliederrückgang hauptsächlich seine Ursache in der Ganztagsschule hat.
 

Was ist zu tun?

Das Rad der Geschichte kann und soll nicht zurückgedreht werden. Die Einführung der Ganztagsschule ist eine gesellschaftliche Notwendigkeit. Mit dieser Tatsache muss man sich abfinden und nach entsprechenden Lösungen suchen.

Fakt ist, dass gebundenen Ganztagsschulen verbindliche Angebote für den Unterricht unterbreiten und die offene Ganztagsschule eine Nachmittagsbetreuung anbieten müssen. Damit aus dem Sportangebot nicht nur eine beaufsichtigungszeitfüllende Betätigung wird, muss angestrebt werden, dass eine sinnvolle Zusammenarbeit Verein/Schule erfolgt. Die Projekte „Schule und Verein“ der Sportjugend ist zwar hilfreich, aber in keiner Weise der Problematik angemessen.

Es ist schon verschiedenen Sportarten bzw. Vereinen gelungen, in den Nachmittagszeiten Sportangebote zu unterbreiten. In den wenigsten Fällen ist es aber gelungen, eine angemessene Kooperation Schule/Verein einzugehen. Mit dem Modell „Weiße Flecken“ ist es dem Hockeysport einerseits gelungen in Schulen AGs einzurichten. Die für die Vereine wichtige Zusammenarbeit stößt aber sehr schnell an ihre Grenzen, eine wirkliche Problemlösung bezüglich des Ganztagsbetriebs ergibt sich daraus nicht. Es ist wenig effektiv, wenn Jugendliche, die in einer Vereinsmannschaft spielen, aber in verschiedenen Schulen am Hockeytraining unter verschiedenen Trainern teilnehmen.

Damit eine angemessene Kooperation stattfindet, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt werden. Es muss ein Modell entwickelt werden, bei dem durch geeignetes Personal der Hockeysport eine zentrale Rolle spielt und in Abstimmung mit den Vereinen ein qualifiziertes Training stattfindet:

 

Das Personal kann sowohl ein Lehrer oder eine Lehrerin mit entsprechender Trainerausbildung als auch ein Vereinstrainer sein, es muss aber eine angemessene Qualifikation vorliegen, was derzeit nicht immer gewährleistet ist. Die Bezahlung von externen Vereinspersonal muss allerdings durch die Schule erfolgen, schließlich wird hier ein durch die Schule sicherzustellender Aufgabenbereich abgedeckt.

Für den Hockeysport muss gefordert werden, dass bei dem Nachmittagssportangebot auch der Schwerpunkt auf dem Hockeysport liegt. Ein Mischangebot, bei dem alle vier Wochen eine andere Sportart angeboten wird, ist wenig hilfreich und nicht im Sinne der Hockey-Vereine.

Ein denkbarer Problemlösungsansatz kann dabei eine Kooperation mehrerer Schulen sein. Da es in bestimmten Regionen Berlins kaum genügend hockeyspielende Schüler und Schülerinnen an einer Schule gibt, muss neben der Kooperation Schule/Verein eine Kooperation mehrerer benachbarter Schulen mit einem Verein ermöglicht werden. Durch diese Verknüpfung könnte sich an einer Schule zu einem bestimmten Termin die Hockeyspieler, an einer anderen an der Kooperation beteiligten Schule die Handballer etc. treffen. Vorarbeiten müssen seitens der Vereine geleistet werden. Die Schulen müssen den Zeitrahmen schaffen. Das Problem „Schulweg“ muss gelöst werden. 

Eine weitere denkbare Problemlösung könnte sich ergeben, wenn Schülerinnen und Schüler von der Schule zum Vereinstraining „delegiert“ werden. Denkbar wäre das im Nachmittagsangebot. Ganztagsschulen müssen durch freiwillige Arbeitsgruppen und eine flexible Rhythmisierung der Lernangebote ihren Nachmittagsunterricht organisieren, da in der offenen Ganztagsgrundschule das Angebot der verlässlichen Halbtagsgrundschule (7:30 bis 13:30 Uhr) um ergänzende Förderungs- und Betreuungszeiten in Form von Angebotsmodulen erweitert wird. Nachmittagsangebot 13:30 bis 16:00 Uhr, Spätbetreuung 16:00 bis 18:00 Uhr sowie Ferienbetreuung. Der Vereinstrainer übernimmt dann Aufgaben der Schule, die Bezahlung erfolgt dann durch den Schulträger, die Materialbereitstellung übernimmt der Verein. Organisatorische Aufgaben wie Prüfung der Anwesenheit, Aufsichtspflicht u. a. werden duch den Trainer wahrgenommen.

Für die freiwilligen Arbeitsgruppen sind außerschulische Bildungsträger und Sportvereine mit qualitätsvollen Programmen gefragte Kooperationspartner. Und genau hier müssen die Vereine ansetzen.

Die Vereine müssen untereinander sportartenübergreifend arbeiten und in die Schulen gehen, mit Schulleitern über Kooperationen verhandeln. Mit den Sportlehrern müssen Gespräche geführt werden. Angebote wie, Schule und Verein, u. a. m. müssen genutzt werden.

Mit den regelmäßig angebotenen Hockeyfort- bzw. -ausbildungen für Sportlehrer leistet der BHV bereits gute Vorarbeit.
 

Fazit:

Die Sportvereine müssen in die Offensive gehen. Andere außerschulische Bildungsträger mit qualitätsvollen Programmen sind bereits an vielen Schulen gefragte Kooperationspartner.

Durch Kooperationen können „verloren gegangene“ Trainingszeiten und – plätze zurückerobert werden. „Belastende“ Trainingszeiten könnten zurückgedrängt werden.

Die Mitgliedergewinnung für die Vereine kann durch Schulpartnerschaften effektiver werden.
 

B. Wagner-Staacke
Sportwart BHV


(1) www.zeit.de/gesellschaft/familie/2010-07/vereine-ganztagsschulen/seite-1

(2) Anlage: Tabelle zu Trainingszeiten

(3) www.netdoktor.de/Gesund-Leben/Baby+Kind/Ratgeber/Wie-viel-oder-wie-wenig-Schlaf-424.html

(4) eltern.t-online.de/schlafforschung-so-viel-schlaf-brauchen-kinder/id_18259908/index

(5) www.netdoktor.de/Gesund-Leben/Baby+Kind/Ratgeber/Wie-viel-oder-wie-wenig-Schlaf-424.html

(6)www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/

Bevoelkerung/AktuellGeburtenentwicklung,templateId=renderPrint.psml#Geburtenziffer

 

Tabelle zu Trainingszeiten

 
13. November 2024
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