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Charlotte on tour

Sind wir nicht alle ein bisschen gedopt?

Kolumnistin Charlotte Geiger über das erste FIH Anti-Doping-Meeting

Ob griechische Gewichtheber, deutsche Triathleten oder doch mal wieder ein Radprofi, Doping im internationalen Leistungssport ist ein gleichermaßen verbreitetes wie auch medial ausgeschlachtetes Thema. Auch wenn schon 300 Jahre vor Christus Sportler mit Stierhoden ihre Leistung zu steigern versuchten, wurden doch erst vor genau 40 Jahren die ersten Dopingtests bei Olympischen Spielen durchgeführt, nachdem innerhalb von kurzer Zeit zwei Todesfälle die Sportwelt erschütterten. Die vom IOC gegründete Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) liefert sich seit 1999 eine Schlacht mit den Schwarzmarkthändlern, die wöchentlich neue verbotene leistungssteigernde Mittelchen unters Sportlervolk zu bringen versuchen.

„Mittlerweile schleichen sich sogar Mitarbeiter der WADA Undercover in die Schwarzmärkte ein, um die neuen Mittel zu erstehen und dann in den Laboren so schnell wie möglich Nachweismethoden für sie zu erarbeiten“, erzählt der medizinische Verantwortliche des Turniers in Kakamigahara, Dr. Peter Wefers Bettink, der heute im Rahmen des Qualifiers das erste Anti-Doping-Meeting leitete, das die FIH für Teamärzte und -manager je veranstaltete. Doch wozu um aller Welt braucht man ein solches Meeting in einem dopingfreien Sport wie Hockey, wo 2006 bei 1.744 Dopingkontrollen auf internationalem Niveau keine einzige positiv ausfiel?

„Zum einen ist das nun mal ein internationaler Standard, an den sich jede Sportart halten muss, egal welche. Zum anderen sind die Vorgaben der WADA, der FIH und der nationalen Anti-Doping-Agenturen wie die deutsche NADA sehr streng, man sollte sie sehr gut kennen und verstehen, damit es keine bösen Überraschungen gibt“, so Wefers. Für eine Kortisonspritze ins Knie braucht jeder Hockeyspieler eine medizinische Ausnahmegenehmigung, die er erst beantragen muss, und auch sonst müssen Kaderspieler sich jederzeit für eine spontane Dopingkontrolle bereithalten, stets ihren momentanen Aufenthaltsort angeben.

Falls man dem nicht nachkommt, kann sich auch ein völlig ungedopter Hockeyspieler des Verdachtes der Dopingvertuschung schuldig machen, und falls das zweimal passiert, auch knallhart für ein großes Turnier gesperrt werden. „Das Ganze ist natürlich schon ein ziemlicher Papierkrieg, Formulare müssen ständig gefaxt werden und man muss wahnsinnig aufpassen, dass man nicht zufällig mal was vergisst“, so der Teamarzt der Deutschen, Dr. Rainer Koll. Bei diesem wilden Formularverkehr passiert es dann auch schon mal, erzählt FIH Medienbeauftragter Arjen Meijer, „dass wir Faxe von Eishockeyspielern erhalten, die uns für ihre zuständige Dopingorganisation halten.“

Die Spieler müssen auch Acht geben, dass ihnen nicht vom Arzt Medikamente verschrieben werden, die auch nur die kleinsten Mengen an verbotenen Substanzen enthalten, sei es im Hustensaft. Die Substanzen, die auf der Dopingliste stehen, sind sehr breit gefächert: angefangen bei Anabolika über Betäubungs-, Beruhigungs- oder Aufputschmittel bis hin zu Cannabinoiden, die weniger leistungssteigernd als einfach drogengesetzlich verboten sind. „Natürlich ist das umstritten, denn eine Party, auf der andere Gäste Marihuana rauchen, kann dem anwesenden Sportler im Nachhinein schon echte Probleme bereiten“, schildert Wefers.

Von den 24 Dopingfällen im Hockeysport, die 2006 weltweit auf nationaler Ebene positiv getestet wurden, lägen Cannabinoide auch mit der Hälfte der Fälle unangefochten an erster Stelle. Daneben seien noch vier Hockeyspieler auf Testosteron, je drei auf Beta-2-Agonisten und Stimulanzien sowie je einer auf Narkotika, Maskierungsmittel und Antiestrogene positiv getestet geworden. Daneben gibt es natürlich auch Nahrungsergänzungen mit leistungssteigernden Substanzen wie die organische Säure Kreatin, die den Muskelstoffwechsel verbessern kann, vom IOC erlaubt ist und auch im Hockey Verwendung findet.

Und damit stellt sich auch zwangsläufig die Gretchenfrage der Dopingthematik: Wo fängt Doping an und wo hört es auf? Strenggenommen sind auch Vitaminpillen am Morgen, Höhentrainingslager oder sogar GPS-Geräte leistungssteigernd und damit wettbewerbsverzerrend, denn nicht jeder Sportler hat die Möglichkeit, von diesen Vorzügen zu profitieren. Andererseits: Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der Leistung permanent und auch auf Kosten des Körpers und der Konkurrenten gefordert wird? Der berufliche Alltag findet zwischen morgendlichem Aufwachkaffee und Feierabendbier, zwischen Amphetaminen und Schlafpillen sowie noch jeder Menge anderer weitaus unfairerer Mittel statt, um der Konkurrenz gegenüber Vorteile zu haben.

Dass der Kapitalismus auch den Sport eingeholt hat, erkennt ein jeder nicht erst an den Transfersummen für Fußballspieler. Und wahrscheinlich ist das auch eine Chance des Hockeysports, um frei von allzu großen finanziellen Abhängigkeiten auch weiter dopingfrei bleiben zu können.

Charlotte Geiger

 
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