Eindrücke aus China - fünf Monate vor den Olympischen Spielen
Stephan Haumann berichtet über eine DSJ-Reise
DHB-Jugendsprecher Michael Steinmann, Ines Vollbach (JVK-Mitglied aus Frankfurt) und Stephan Haumann, Kommunikationsreferent im DHB-Jugendausschuss, waren als Teilnehmer an einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) organisierten Delegationsreise nach China vom 24. März bis 1. April ausgewählt worden. Die Reise fand auf Einladung des chinesischen Ministerpräsidenten statt. Im Vordergrund der jugendpolitischen Reise stand das Thema „Jugend und Sport“. Das Programm führte nach Peking sowie in zwei weitere Städte im Süden Chinas. Bestandteile des Aufenthaltes in China waren sowohl Besichtigungen von Sporteinrichtungen, Besuche von Organisationen, Begegnungen sowie landeskundliche und kulturelle Elemente. Für die Ruhrnachrichten und hockey.de hatte Stephan Haumann aus China Berichte geschickt, die aber aus bislang nicht geklärten Gründen jeweils nicht in verwertbarer Dateiform ankamen. Zurück in Deutschland gibt er nun den hockey.de-Lesern seine Eindrücke wieder.
Ist Sport politisch?
Über Vorbehalte und Vorurteile einer Delegationsreise nach China
Sonntag 19:00 Uhr – Auftaktveranstaltung in den Räumen der hessischen Sportjugend in Frankfurt am Main. In weniger als 24 Stunden soll es für insgesamt 100 junge Menschen aus allen Bereichen des Sports zu einer Delegationsreise nach China gehen. Es dauert keine zwei Minuten bis das erste Mal die Worte „Tibet“ und „Olympiaboykott“ fallen. Am nächsten Mittag um 14 Uhr soll es eine Pressekonferenz mit vielen Medienvertretern geben. Die ARD hat sich ebenso angekündigt wie RTL.
Alle Teilnehmer merken sofort die großen Wellen, die diese Delegationsreise der Deutschen Sportjugend (DSJ) in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geschlagen hat oder noch schlagen wird. Zuerst wird es nach Shanghai gehen, wo ein Zusammentreffen mit dem All-Chinesischen Sportbund geplant ist. Danach wird die Reise nach Peking führen, wo auch ein Zusammentreffen mit dem chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao auf der Tagesordnung steht. Ob dieses tatsächlich stattfinden wird, steht jedoch noch aus. Schließlich soll es noch nach Tianjin gehen, wo der Besuch einer Sportschule den Höhepunkt bildet.
Als Rahmenprogramm sind viele kulturelle Aktivitäten und Besichtigungen eingebettet. Als sportlich engagierter Mensch ist es natürlich eine einmalige Chance, die Olympiasportstätten vor den Spielen noch einmal begutachten zu dürfen. Es gilt herauszufinden, welchen Stellenwert der Sport in einer uns doch weitestgehend fremden Kultur spielt. Oft hört man von Eliteschulen und Sportinternaten mit viel Drill und Disziplin. Kinder werden schon in jungen Jahren von ihren Eltern getrennt um möglichst das verborgene Talent aufzudecken, um, nicht zuletzt, durch den Sport einen besseren Zugang zur Gesellschaft zu bekommen - in der deutschen Jugendarbeit natürlich unvorstellbar.
Und doch schaffen es die chinesischen Sportlerinnen und Sportler ihre Leistungen auf ein Weltklasseniveau zu bringen. Es bleibt abzuwarten, wie viele Medaillen am Ende im Land der Mitte bleiben werden. Auch als „nur“ sport-politisch Engagierter ist es schwer ganz ohne Vorbehalte in ein Land zu fahren, das offensichtlich Menschenrechte verletzt. Anfang Februar, als ich den Zuschlag für die Teilnahme erhalten habe, wurde ich beglückwünscht – nur wenige Tage später, als der Konflikt in Tibet in vollem Gange war, hörte ich oft den Satz „Wie kann man nur…“.
Die Stimmung gegenüber der Volksrepublik China scheint sich zu wandeln. Ist ein „Olympiaboykott“ die richtige Reaktion? Ist der Sport so politisch, dass man auch auf aktuelles Zeitgeschehen reagieren müsste? In München hieß es noch „The games must go on…“. Oder sind die Spiele eine Chance für ein solches Land, das sich sonst, auf kultureller und völkerverständigender Ebene – und nichts anderes ist der Sport - abschottet?
Ich bin der Meinung: So lange wie es noch Dialog gibt, besteht noch eine Chance auf Problemlösung. Auch hier fahre ich mit gemischten Gefühlen los. Ich sehe mich auch als Multiplikator und erhoffe mir auch neue Einsichten von dieser Delegationsreise, die ich dann weitergeben kann. Der Dialog ist der einzige Weg und die Hoffnung bleibt, dass der Sport verbindet, so wie das Zeichen der olympischen Spiele – die Ringe. Hier ist der Sport politisch und hier sollte man ihn auch politisch nutzen.
Willkommen im Land der Mitte
…und alles läuft perfekt…
Shanghai – 13h Ortszeit. Erster Eindruck: grau. Kennt man das nicht irgendwoher? Ob es schwarz-weiß Dokumentationen aus der schlimmsten deutschen Geschichte sind oder mein erster Eindruck bei meiner ersten Reise in die ehemalige DDR sind, die mir ein Déjà-vu bescheren, ist nicht ganz klar. Vor dem Flugzeug salutieren Sicherheitsbeamte für Staatssekretär Hoofe – ob Polizei oder Militär ist in Galauniform nur schwer auszumachen.
Es liegt grauer Dunst über der Stadt. Ab geht’s in den Flughafen. Es wird farbig. Das übliche Prozedere: Geld tauschen, Koffer holen, weiter geht’s. Es wird wieder salutiert für den Staatssekretär. Auffällig ist: Alles guckt uns 100 junge Menschen und die wenigen politischen VIP’s ständig an. Vor dem Flughafen angekommen sucht man den Transrapid. Der Weg ist schnell gefunden, denn es gibt keinen anderen Weg. Alle Straßen, Trümmerfelder und Häuser, die man noch aus dem Obergeschoss des Flughafens sehen konnte, scheinen verschwunden. Überall stehen hohe Mauern, bunt bemalt, mit Werbung oder kommunistischen Köpfen.
Man kommt sich etwas bedrückt und beklemmt vor. Diese Beklemmung breitet sich bei der acht minütigen Fahrt mit 431 km/h ins Zentrum noch auf. Raus aus dem Transrapid, es wird sich auf die Busse aufgeteilt, der Staatssekretär fährt in Limousine voraus. Es geht in Richtung Oriental Pearl Tower, der drittgrößte Fernsehturm der Welt. Wir halten an keiner roten Ampel und werden von den Verkehrspolizisten durch gewunken. Im Bus dann endlich: „Wir begrüßen Sie im Olympialand China“ – zwei unsicher wirkende Chinesen stellen sich als Mitglieder des All-Chinesischen Jugendverbandes vor.
Durch einzelne Lücken in den Mauern der Straßenbegrenzung lassen sich Armenviertel erkennen, ohne die Lücken nur bunte Plakate. Am Fernsehturm angekommen begrüßt eine Kapelle mit „Ode an die Freude“ die Delegation. Ein riesengroßer „Bejing 2008“ Schriftzug schmückt den Aufgang zum Turm. Die Spiele sind in Shanghai allgegenwärtig. Man sieht Werbung auf der Straße, in der großen Einkaufsstraße „Bund“ werben viele Marken mit den Spielen, neben unzähligen Souvenirverkäufern, „Masseurinnen“ und Bettlern.
19 Uhr. Herr Wo, der Vorsitzende des All-Chinesischen Jugendverbandes, hat zum Bankett geladen. Er verweist auf zahlreiche Superlative und wie wichtig Deutschland als Handelspartner für China ist. Deutschland sei sogar der wichtigste Handelspartner in Europa. Kein Wort vom Sport, kein Wort zu den 100 hungrigen Jugendlichen. Staatssekretär Hoofe ist an der Reihe: „Die Jugend ist das wichtigste Gut unserer Gesellschaft“. Man tauscht Geschenke aus. Was auffällt: Es gibt unglaublich viel Essen. In Deutschland kalkuliert man so, dass es passt. In China kalkuliert man so, dass man am Ende nicht sieht, dass überhaupt jemand was gegessen hat, um sich nicht nachsagen lassen zu müssen, dass es zu wenig zu Essen gab.
Und auch allgemein sind die Chinesen sehr gastfreundlich. Aber auch hier: Kaum ein Wort zum Sport. 22 Uhr – Joe’s Bar, genau gegenüber des Hotels. Wir kommen mit acht Leuten in die leere Bar und finden auf den knapp 18 qm² nicht alle einen Sitzplatz, dafür kommen wir aber mit den drei Bedienungen und einem Gast, einem Mongolen, ins Gespräch: Wir sprechen sie auf die Olympischen Spiele an. „Ja, wir hoffen, dass viele Touristen auch nach Shanghai kommen“, erläutert uns die 40-jährige Wirtin, die darauf besteht, dass die 5-Euro-Scheine an der Wand aus England kommen.
Man redet über Export-Biere und das Bruttoinlandsprodukt, aber auf die Frage, ob sie denn schon weiß, wie gut die Hotels im Umkreis gebucht sein werden zu den Spielen, kann sie uns nicht mehr richtig verstehen. Wir warten etwas ab und sprechen dann auch Stichworte wie „Olympiaboykott“ und „politisch schwierige Situation“ an. Davon hat sie noch nichts gehört, gibt sie uns zu verstehen. Der Mongole schüttelt mit dem Kopf und wirft ein paar chinesische Worte ein. Wir merken, dass wir hier nicht weiterkommen und so geht es nach Hause, über die Straße ins Hotel.
Hoffentlich, so denken alle, kommen wir auch nochmal mit Chinesen ins Gespräch, denn wir fühlen uns mit Informationen über die Spiele, über die Politik und auch über die Meinungen und Einschätzungen der Chinesen etwas unterversorgt… Am nächsten Morgen geht es in ein Trainingszentrum. Es wird angekündigt, dass hier bereits mehrere Olympiateilnehmer ausgebildet wurden. Die Einfahrt in das riesige, ca. 20 Minuten von Shanghai entfernte Areal ist grotesk: Wir fahren zuerst durch ein „Holiday and Sport Center“, einen Militärpark. Man sieht Schützengräben, Hindernisse aus Stacheldraht, ausrangierte Panzer, Geschütze, Flugzeuge und sogar ein auf Land liegendes altes Militärschiff.
Doch sieht man keine Armee, es „trainieren Kinder“ in paramilitärischer Einheitskleidung, geleitet von Erwachsenen im Fleckentarnanzug. Der Bus ist vollkommen ruhig. Man hört Kinderlachen und Anfeuerungsrufe. Ist das der Sport in China? Gab es das nicht alles schon mal? Der deutschprachige, chinesische Guide erklärt, dass dies eine beliebte und buchbare Freizeitbeschäftigung ist und es das Fach „Militärkunde“ sogar in der Schule gibt. Wir sind schockiert.
Im eigentlichen „Leistungszentrum des Shanghaier Sports“ angekommen, kommen wir wieder aus dem Staunen nicht raus: Hochmoderne Anlagen, Hallen für Tischtennis, Badminton, Basketball, Volleyball, ein riesiger Rudersee. Eine riesengroße Schwimmhalle mit fünf Becken für das Zeitschwimmen, Synchronschwimmen, Turmspringen und Wasserball können wir ebenso in Augenschein nehmen wie eine hochmoderne Gegenstromanlage und Schlaf- und Trainingsräume in einem Höhentrainings-Simulator. Nicht, dass man diese Sachen aus Deutschland nicht kennen würde, jedoch scheint es nicht so recht ins Bild zu passen.
Auf dem Weg zeigt man uns auch die Unterkunft der Fußball-Damennationalmannschaft. Einige Trikots hängen zum Lüften auf dem Balkon. Das gesamte Areal ist umzäunt und geschützt, auf den Wegen liegt kein Staubkorn und die hübsch angelegten Rasenflächen scheinen gerade erst geschnitten worden zu sein. „Wie finanziert sich diese Einrichtung?“ fragen wir. „Die Regierung“, so die kurze Antwort. An jeder Wand einer Trainingshalle hängt ein Plakat mit Fotos: Den besten Sportlern des Monats – rot eingerahmt. Hammer und Sichel, das bekannte Symbol der kommunistischen Partei in China, zieren den Rahmen an seinen Ecken. Darüber prangen chinesische Schriftzeichen, die uns wörtlich niemand so richtig übersetzen will.
„Es ist ein Aufruf!“ – „Ein Aufruf wofür?“ – „Ein Aufruf für das Land und die Partei zu kämpfen“. Wieder wird uns mulmig. Mit Athleten kommen wir an diesem Tag nicht ins Gespräch. Entweder müssen sich die ca. 11-Jährigen beim Tischtennis angeblich so konzentrieren, dass wir sie nicht für fünf Minuten aus dem Rhythmus bringen dürfen oder alle Sportler sind gerade auf einem Wettkampf. Ein Wettkampf, der sich wohl oft kurzfristig ergab, denn oft finden wir noch Handtücher, Schwimmbrillen, Taschen, Zivilkleidung etc. am Rande der Hallen und Bäder oder sehen sie in den Umkleidekabinen. Auf dem Weg zum Flughafen in Richtung Peking bleibt Zeit, über das Erlebte etwas nachzudenken. Die Volksrepublik investiert augenscheinlich eine riesige Summe um den Leistungssport zu fördern, denn es gibt mehrere solcher Schulen, auch in Shanghai.
Das Vogelnest steht
Peking baut…
Die Weltmetropole Peking, oder auch Beijing, ist für einige Superlative bekannt. Noch bis zum 1. April läuft in Peking die Asian-Fashion-Week und man sieht viel Prominenz in der Stadt. Es gibt in Städten auch immer prominente Gebäude und eines der prominentesten in Peking ist derzeit noch nicht einmal komplett fertiggestellt – das Olympiastadion, wegen seiner Balkenkonstruktion auch „Vogelnest“ genannt. Es gibt bereits Postkarten und Miniaturen zu kaufen. Sonst ist in China jeder Schandfleck durch meterhohe Mauern von den Blicken der Passanten und Touristen abgeschirmt. Die Großbaustelle rund um das neu errichtete Olympiastadion jedoch weißt erstaunlich viele Lücken in seiner Absperrung auf.
Und dennoch wundert man sich, dass die Vorbereitungen in Peking und Umgebung schon so weit sind. Die größten und wichtigsten Gebäude stehen und können sich auch schon sehr gut zeigen lassen. Im Osten der Stadt entsteht der riesige Olympiapark. Ein grünes Großprojekt, das Seinesgleichen sucht. Peking mutiert bis zum Entzünden der Flamme am 8. August zu einer High-Tech-Metropole. Alles, um den Schein zu wahren? Natürlich wissen wir auch, dass viele Menschen bei den Planungsarbeiten für die Spiele zwangsenteignet wurden, da sie vielleicht auf einem Trainingsplatz oder dem Standort des olympischen Dorfes siedelten.
Kurz vor dem Besuch des Stadions ging es zum Bankett in die Deutsche Botschaft, und hier wurde auch vor allen chinesischen Delegationsbegleitern deutliche Worte in Bezug auf die Tibet-Frage gesprochen. Die Bundesregierung und alle Beobachter seien „in großer Sorge“ und die Früchte des Erfolgs einer solchen Delegationsreise seien nur durch „gewaltfreie Lösungen, Dialog und sofortige Transparenz“ zu ernten.
Auch an ein eigenes U-Bahn-Netz nur für die Spiele wurde gedacht, das bei dem Verkehrsaufkommen auch schon an ruhigen Tagen in der chinesischen Hauptstadt schlicht nicht zu entbehren wäre. Die Sporthochschule Peking hat ca. 6.000 Studenten. Viele Olympiasieger und Weltmeister lehren oder lernen hier. Die Universität erstreckt sich auf einem Quadrat von vier mal vier Kilometern, also ein riesiger Campus. In der eigenen Parkanlage, die sich zentral auf dem Areal befindet, schmückt ein „Walk of Fame“ mit Unterschrift, Name und Fußabdruck von besonders erfolgreichen Absolventen den Hauptweg.
Die Regierung investiert eine enorme Summe um ca. 60 Hallen zur Verfügung zu stellen. Also wir in die Tennishalle eintreten, treffen wir mal wieder niemanden an, ein bekanntes Bild. Dann gibt es noch vor dem Audiomax ein Gruppenfoto vor einer ca. 8 Meter großen Mao-Statue. Ich stelle mich freiwillig als Fotograph zur Verfügung, denn lachend vor einer Mao-Statue möchte ich nun wirklich nicht unbedingt fotografiert werden. Wenn die Chinesen von Mao erzählen, sagen sie immer „unser Präsident Mao“.
Am Dienstag landet die Delegation von 100 Jugendlichen wieder in Deutschland. Was mir klar geworden ist: China ist ein Land im Aufbruch, ein Land, das sich schneller entwickelt, als es sich verändern kann. Die Menschen sind herzlich und zuvorkommend. Es sind viele Freundschaften entstanden. China unterstützt den Sport in einer Größenordnung, dass es einen teilweise nur schwindelig machen kann.#
Aber was ich auch gelernt habe: Sport und Politik haben deutliche Parallelen. Aber: Sport bietet auch die Chance, über Politik zu sprechen. Wir brauchen den Dialog mit China, um uns selbst und das bevölkerungsreichste Land weiterzubringen. Das geht nur durch Sensibilität, Geduld und Unvoreingenommenheit. China ist kein Staat wie andere Staaten. Seine Größe und seine Tradition machen dem Land die Öffnung schwer. Wir aber hatten die Chance, von uns zu erzählen, von unserer Struktur, von unseren Sportlern und von unserer Meinung - und wir wurden mit offenen Armen empfangen.
Stephan Haumann
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