Sonntag, 16.6.2002
Frankreich als warnendes Beispiel
Bevor es heute in unserer Serie "In-Teames" ausnahmsweise einmal ein bisschen
ernster wird und vielleicht auch gar nicht so intim, denn ich will Ihnen
einen Artikel aus der heutigen Welt am Sonntag näher bringen, noch ein wenig
Abjubeln. Auch gestern gab es beim Hamburg Masters 2002 wieder einen
Torreigen. 6 Tore im ersten Spiel zwischen Spanien und Malaysia, deren 9 im
zweiten, 8 davon in der ersten Hälfte zwischen uns und den brillanten
Argentiniern (da wächst ein internationales Top-Team heran, nein, ist es
längst). Schöner kann Hockey für die Zuschauer nicht sein, Zuckertore am
Fließband.
Das einzige, was ich störend empfand, und sicherlich nicht der Grund für die
vielen Tore war, ist die neue 3-Mann-Regel. Sie besagt eben nicht, dass nur
acht Spieler der verteidigenden Mannschaft im eigenen Viertel sein dürfen,
sondern umgekehrt, drei dürfen nicht hinein. Wenn eine Mannschaft so wie wir
kurz vor Spielende durch Sascha Reinelts gelbe Karte dezimiert ist, dann
dürfen nur noch 7 Spieler (inkl. Torwart) verteidigen. Die Argentinier hatten
sich schon das gesamte Spiel über auf diese neue Situation eingestellt. Die
Folge, es ging (teilweise durchaus spannend) nur noch wie beim
Eishockey-Powerplay darum, wie halten wir den Ball im Viertel. Und für die
anderen, wie bekommen wir ihn schnell heraus, um im Gegenzug schnell zu
kontern. Was wiederum den Deutschen gut gelang. Das Mittelfeldspiel entfiel
über weite Teile des Spiels. Die Älteren unter uns fühlten sich an den
(gerade aus diesem Grund) ausgestorbenen Feldhandball erinnert. Nun, erst
einmal wird es wohl ein einmaliges Experiment bleiben. FIH-Beobachter Peter
van Reth (viele kennen ihn als jahrelang hervorragenden internationalen
Top-Schiri) zweifelt an der Durchsetzung dieser Regel. Vor allem in den
unteren Klassen der Wettkampfsysteme sieht er erhebliche Probleme der
praktischen Umsetzung.
Gleichwohl fielen hier bisher in Hamburg eine Fülle von Toren und eines
schöner als das andere. Das Tolle: Klassestürmer haben oft auch einen
gewissen Toregoismus. Auch der macht erst ihre Klasse aus. Bei unseren
Stürmern hat man den Eindruck, dass ihnen das schön herausgespielte Tor, für
das sie nur den "genialen assist" lieferten, bedeutsamer ist als die
Eintragung in die Torschützenliste. Es wird kombiniert ohne Ende, bis einer
der Kollegen dann wirklich vor dem Möbelwagen großen leeren Tor steht - und
versenkt. Und da sie sich bisher Turnier "assists" und "Tore" brüderlich
geteilt haben, hat auch die Torschützenliste ihre Ordnung. Um das einmal
mitzuerleben, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Schauen Sie sich die
Spielberichte auf Bayern III heute und morgen Abend an. Noch besser: kommen
Sie vorbei, wenn die deutsche Nationalmannschaft in Deutschland auftritt.
Noch nie war das so häufig der Fall wie in diesem Jahr.
Nun aber ganz ernst. Bernhard Peters Beschreibung der derzeitigen Situation
seines Teams. Heute unter "Sportsicht" in der Welt am Sonntag abgedruckt. Für
Sie hier der Originaltext in voller Länge. In der WamS ist er ein wenig
kürzer.
Frankreich als warnendes Beispiel
"Das Hamburg Masters beim UHC, bei dem wir auf die Nationalteams Malaysias,
Argentiniens und Spanien treffen, ist das erste Turnier nach dem erstmaligen
Sieg bei der WM im März in Kuala Lumpur. Für das Team und mich geht es zur
Zeit in erster Linie darum, das richtige Bewusstsein nach so einem großen
Erfolg zu erarbeiten. Wir müssen damit umzugehen lernen, dass wir auf dem Weg
zu den nächsten großen Turnieren wie der Champions Trophy im September in
Köln, der Europameisterschaft 2003 in Barcelona und schließlich Olympia 2004
in Athen auch durch ein kleines Tal gehen müssen. Gewisse Rückschläge müssen
einfach einkalkuliert werden und dürfen einen nicht überraschen.
Ich bin mir der Gefahr bewusst, dass ein Sieg bei einer Weltmeisterschaft
auch zu persönlichen Egoismen führen kann. Das darf aber nicht passieren,
denn die Teamarbeit war die große Stärke, die uns weit nach vorn gebracht
hat, und sie soll auch in Zukunft im Vordergrund stehen. Das Abschneiden der
Franzosen beider Fußball-WM war ein warnendes Beispiel, das unser Psychologe
Lothar Linz den Spielern auch vor Augen geführt hat. Sie waren trotz
Top-Individualisten im Team nicht mehr hungrig genug auf einen großen Titel.
Deshalb gilt es für uns, durch Veränderungen im Kader Selbstzufriedenheit und
Sattheit zu begegnen, neue Konkurrenzsituationen zu schaffen und frischen
Spielern neue Positionen zuzuordnen. Wenn wir eine große Mannschaft bleiben
wollen, die in der absoluten Weltspitze weiter mitspielt, dann muß jetzt in
der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Spielers noch ein Pfund
draufgelegt werden. Es darf bei uns im Hockey keine Effenbergs geben. Das
Management muß reagieren, wenn Spieler selbstzufrieden werden und über ihren
Zenit hinaus sind.
Wenn uns das alles in der Umsetzung gelingt, dann können wir die "Delle", die es
nach einem großen Triumph immer gibt, klein halten. Das Hamburg Masters ist
dabei der erste Schritt. Meine Aufgaben als Trainer bezeichne ich dabei gern
als ganzheitlich. Nicht nur die technisch-taktische Entwicklung der
Mannschaft ist wichtig, sondern es muß auch die Persönlichkeitsentwicklung
jedes einzelnen Spielers gefördert werden.
Fast alle haben die Doppelbelastung Beruf und Sport zu bewältigen. Deshalb
ist die Betreuung der mentalen Situation der Spieler ebenso wichtig wie die
gute sportärztliche oder physiotherapeutische Versorgung. Ich verstehe mich
dabei als Koordinator der verschiedenen Fachbereiche, bei dem die Fäden
zusammenlaufen. Was unsere Hockey-Nationalspieler leisten, bezeichne ich gern
als den wahren Professionalismus. Sie schaffen es, durch unwahrscheinlich
gutes persönliches Zeitmanagement, Berufsausbildung und Leistungssport
parallel auf hohem Niveau voranzutreiben.
Dadurch entwickeln sie sich zu sehr guten Persönlichkeiten. Es stimmt nicht,
dass man sich nur auf eines konzentrieren kann - das eine bedingt das andere
und führt zu einer ganzheitlichen Persönlichkeitsentwicklung. Es lassen sich
bei den Nationalspielern Tugenden erkennen wie Teamfähigkeit, Biss,
Durchsetzungsvermögen, optimales Zeitmanagement und Zielorientiertheit. Das
sind alles Tugenden, die in Wirtschaftsunternehmen gefragt sind. Der Deutsche
Hockey-Bund hat am Freitag gerade das renommierte
Wirtschaftsprüfungsunternehmen Susat & Partner als neuen Partner für
Ausbildung und Beruf vorgestellt, mit dessen Hilfe die Laufbahnberatung der
Spieler professionalisiert wird. Wir sind da mit Sicherheit auf einem guten
Weg.
Ich würde mir aber noch viel mehr Unternehmen wünschen, die zum Beispiel in
Form von Patenschaften die Nationalspieler unterstützen. Diese sind
schließlich später potentielle Hochleister für die Unternehmen, weil sie
während ihrer sportlichen Karriere bereits bewiesen haben, dass sie in
Ausnahmesituationen mit Stress und Belastung umgehen können."
Wenn Sie die deutsche Nationalmannschaft live und in Farbe erleben wollen,
unser nächster "Auftritt" wird die WM-Revanche in Stuttgart sein. Am 18. und
20. Juli treffen die beiden Finalisten von Kuala Lumpur aufeinander. Das war
unsere Berichterstattung aus Hamburg. Wie das Turnier ausgegangen ist (wir
liegen ja nicht ganz schlecht im Rennen) werden Sie an dieser Stelle aktuell
erfahren. Morgen Abend mehr aus Berlin.
Bleiben Sie uns verbunden.
HockeyHerzlichst
Dieter Schuermann
PS bis zum nächsten Lehrgang in Stuttgart können Sie alles über die
Herren-Nationalspieler -jeden Dienstag neu - in unserer Short-Corner
nachlesen.
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