Männerrituale
Männer müssen wohl überall auf der Welt die Balzposition einnehmen. Die Neuseeländer tun dieses, indem sie vor Spielbeginn, ob im Rugby oder wie am Donnerstag beim Hockey, auch gegen uns ihren Hakka aufführten. Einen Imponiertanz der Eingeborenen, der den Gegner beeindrucken soll. Unsere Jungz standen wie das Kaninchen vor der Schlange und wirkten tatsächlich eingeschüchtert. Andere Nationen feiern Schützenfest oder ihre Banker versuchen sich mit dem höchsten Bürohaus in Mainhattan zu überbieten. Heute die pakistanisch-indische Variante: Flag lowering ceremony at Wagha Border.
Wir fuhren ca. 30 km in 30 Minuten mit unserem Bus und dem immer gleichen Fahrer, dessen Hauptaufgabe zu sein scheint, das Signalhorn zu drücken, Richtung Grenze. Ein Nebelhorn. Als kürzlich Britta Peters ihren Mann während der Heimfahrt vom Stadion zum Hotel anrief, fragte sich gleich: „Fahrt Ihr mit dem Schiff?“. Auch ein Balzritual. Mit diesem Bus ging es also über Land und schon die Fahrt schaffte Eindrücke, die uns sonst auf unserem üblichen Weg zwischen Stadion und Hotel, gleich wo in Asien, verborgen bleiben. Die Zeit um 200 Jahre zurückgedreht, sehr einfache Formen von Landwirtschaft. Ziegelbrennereien überall, Viehwirtschaft direkt vor der Haustür (und mittendrin die spielenden Kinder).
Langsam näherten wir uns der Grenzstadt Wagha, um den Wachwechsel, der hier seit den 50er-Jahren jeden Abend von Indern und Pakistani gemeinsam zelebriert wird, mit zu erleben. Vor der Grenze ein Dorf mit Verkaufsständen ohne Ende. Von hier strömten die Besucher in großer Zahl zu Fuß zur nahe gelegenen Grenzstation. Wir durften mit dem Bus bis vor die Tür fahren, wie immer unter schwerstem Polizeischutz. Sie wissen ja, der internationale Terrorismus. Aber das Thema hatten wir ja schon. Auf der Haupttribüne war bereits Platz für uns reserviert und alle Plätze, nach Frauen und Männern säuberlich getrennt, waren belegt. Auf der „Gegentribüne“, auf indischer Seite das gleiche Bild. Auch die beiden Backstein-Grenztore in schöner Symmetrie baugleich. Die eisernen Grenztore in den Landesfarben, nur das pakistanische als Schiebe-, das indische als Flügeltor gestaltet.
Wie üblich begann alles mit einer vielstrophigen Sure, diesseits. Wie es sich für ein vollbesetztes Stadion gehört, zunächst ein Einheizer, der mehrfach die Stadionrunde in Gestalt der 50 m vom Backstein- bis zum Eisentor machte. Er rief „Pakistan“ und die sich steigernde Menge „Zindabad“ (= wunderbar). Auch von der indischen Gegentribüne laute Gesänge der Fans. Dann begann die Zeremonie.
Von mehreren Operettensoldaten auf dem Backsteintor eröffnet, wie es sich gehört mit einer Fanfare. Der Hauptfeldwebel brüllte lang und vernehmlich und dann ging es hinunter auf die Straße und im gestelzten Stechschritt Richtung Eisentor. Synchron dazu das Gleiche auf indischer Seite. Die beiden captains schüttelten sich die Hände, nahmen wieder diesseitige Position ein und dann ging es hin und her. Zur Wachgarde gehören scheinbar nur die langen Kerls der jeweiligen Armeen, die schiere Größe scheint unermesslich, weil ihre Mützen auch noch mit hahnenkammartigen langen Turbanaufbauten geschmückt sind. Allesamt immer im Stechschritt hin und her, Piaffe, Bein hoch nach Art der Lido-Girls, und zurück. Jeder Schritt von den „Pakistan – Zindabad“ jubelnden Massen (es waren diesseits bestimmt ein paar Tausend und auf der indischen Seite noch einmal) angefeuert. Und immer wieder dieser geherartige Stechschritt, mit großer Schnelligkeit vorgetragen. Schließlich wurden mit viel Brimborium (Schnurabwickeln, Hin- und Herzurren) die Flaggen eingeholt und unter großem Jubel wurden die Wachsoldaten verabschiedet.
Dieses Ritual findet seit Anfang der 50er-Jahre jeden Abend, eine Stunde vor Sonnenuntergang, mit gemeinsamer Drill-Choreographie zwischen Indern und Pakistani statt. Ununterbrochen, auch in Zeiten des schwersten Kaschmir-Konflikts und der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan wurde es beibehalten. Und mit Verlaub. In dieser Operetten-Inszenierung sind mir bei allem fast chauvinistischem Beiklang von den Tribünen Soldaten noch allemal am liebsten.
Morgen früh das Hockeyritual Deutschland in Lahore, die Sechste (früh um Neune).
Bleiben Sie uns verbunden –
HockeyHerzlichst
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